Sepp-Depp Nominierung
Thema: Übertragung von historischen Begriffen: Der "Holocaust
Quellen: a) Sonderdruck der Bundeszentrale für politische Bildung: Holocaust. Materialien zu einer amerikanischen Fernsehserie über die Judenverfolgung im "Dritten Reich". Bonn 1978, S.7
b) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.06.1978, zit. in Kampen/Holocaust, a.a.O.
Urheber: Zu a): Akad. Oberrat Wilhelm van Kampen. Zu b) Prof. Theo Stemmler.
Aussage
Entsprechend den unten genauer zitierten Aussagen sei das Wort "Holocaust" im Laufe der europäischen Geschichte von einem ursprünglich religiösen Begriff zu einer allgemeinen Bezeichnung für die Massenvernichtung von Menschen geworden. Deshalb werde er ganz zurecht und passend für die NS-Judenverfolgung verwendet.
Tatsachen
>Die Geschichte des Begriffs
Das Wort "Holocaust" ist ein Kunstwort, das im mittelalterlichen Latein entstanden ist aus der Übersetzung von Bibeltexten. Die ursprünglich aramäischen und hebräischen Bibeltexte wurden bereits in der Antike in das Griechische übersetzt, damals die zweite Weltsprache nach dem Latein und vor allem eine Gelehrtensprache. Für das jüdische Brandopfer des Alten Testments verwendete man als griechisches Gegenstück "ólokaútoma". Als im Mittelalter die erste lateinische Übersetzung der Bibel erarbeitet wurde (Vulgata) verwendet man das Wort "holocaustum". Entsprechend dieser Herkunft meinte der Begriff bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs nie etwas anderes als das Opfer an Gott, den Gottesdienst.
Begriffs-Übertragung
Wird der Begriff auf die NS-Judenverfolgung übertragen, entstehen abartige Konsequenzen.(1) Bei einem religiösen Brandopfer sind mindestens zwei Rollen zu besetzen: der Hohepriester und das Opfer. Im Falle der NS-Judenvernichtung waren offenkundig Juden das metaphorische "Brandopfer". Deshalb bleiben für die Rolle der Priester nur noch die NS-Verfolger übrig, da sie das Opfer vollzogen.
Diese Verfolgung wäre dann zwar eine blutige und unappetitliche Angelegenheit gewesen: "..die Priester sollen das Blut herzubringen und das Blut ringsherum an den Altar sprengen, der am Eingang des Zeltes der Begegnung [steht]. Und er soll dem Brandopfer die Haut abziehen und es in seine Stücke zerlegen." (Mose 3.1,5-6).
Doch hätte dies letztlich im Dienst eines höheren Zwecks gestanden und wäre im Auftrag Gottes vollzogen worden: "ein Feueropfer als wohlgefälliger Geruch für den Herrn" (Mose 3.1,9).
Erstaunlicherweise wären Juden dann auch deshalb gestorben, um für irgendeine Schuld zu sühnen: "...und es wird als wohlgefällig angenommen werden für ihn, um Sühnung für ihn zu erwirken." (Mose 3.1,4)
Aus den Krematorien der Konzentrationslager würden damit außerdem auch noch Altäre, denn sie "...sollen Feuer auf dem Altar legen und Holz auf dem Feuer zurichten." (Mose 3.1,7).
Was hätten wohl die "Hohenpriester" Heinrich Himmler und Adolf Eichmann zu dieser unerwarteten Rechtfertigung und Verherrlichung ihrer "Brandopfer" gesagt ?
Eine Diskussion um die Übertragung
Erst die weltweit diskutierte US-Fernsehserie "Holocaust" aus dem Jahr 1978 führte den Begriff in das moderne öffentliche Bewußtsein ein. Bis dahin war das Wort praktisch nicht existent.(2) Schon während der Einführung der gleichnamigen Fernsehserie hatte es öffentliche Kritik an der filmischen Darstellung und am Titel gegeben in der Stuttgarter Zeitung:
"... allein der Titel ist schon makaber. Denn das Wort bezeichnet das ' Brandopfer ' nach alttestamentarisch-jüdischem Ritus. Das Wort auf die bestialische ' Endlösung der Judenfrage ' in den Krematorien der Konzentrationslager anzuwenden, verrät einiges von der Gedankenlosigkeit der Produzenten ..."(3)
Diese Kritik wird in einer Unterrichtshilfe der Bundeszentrale für politische Bildung diffamiert:(4)
"... so entlarvt sich darin eher das Vorurteil und die groteske Ahnungslosigkeit der Berichterstatterin, denn ein Blick in die englischsprachige Encyclopeadia Judaica(5) hätte genügt, sie eines besseren zu belehren. Dort wird gerade unter diesem Begriff die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung zusammengefaßt und die einführende Erklärung lautet: 'Der Holocaust' (auch bekannt als Katastrophe, Sho´ah, Hurban) ist die tragischste Periode der Geschichte der jüdischen Diaspora und der modernen Menschheit überhaupt.
Sie begann in Deutschland am 30. Januar 1933 mit der Machtergreifung der Nazis und endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands.' "
Doch die "Unterrichtshilfe" hinterläßt einen zweifelhaften Eindruck. Der unqualifizierte Pauschalvorwurf des Vorurteils wird nicht begründet: worin besteht das Vorurteil, worin die groteske Ahnungslosigkeit?
Die Enzyklopädie sagt nicht mehr, als daß aus jüdischer Sicht der Begriff "Holocaust" bereits vor Verbreitung des Films im Sinn der NS-Verfolgung verstanden wurde. Das kann also logischerweise erst nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein. Damit wird im Resultat lediglich seine zeitliche Entstehung nach vorne verschoben, also von 1978 bis maximal 1945. Das Argument ist wertlos, denn es bleibt dabei, daß nach der NS-Judenverfolgung diese perverse Begriffsübertragung konstruiert wurde: der Massenmord als Gottesdienst.
Professoren-Hilfe ?
Die Mangelhaftigkeit seiner Einwände scheint auch der Verfasser jener "Unterrichtshilfe" zu erkennen, er versucht dies zu beheben durch Rückgriff auf einen Zeitungsbeitrag von Prof. Stemmler wie oben genannt unter Zitat b). Darin wird folgendes vorgetragen:
"( I ) Holocaust ist so bedeutungsschwer ... weil es keinen der verschiedenen Begriffsinhalte, die es im Verlauf seiner Geschichte bezeichnete, je ganz verloren hat. ... Zunächst ... bezeichnet das griechische "holocauston" ein Brandopfer in der Art, wie es in 3. Mose 1, 3-17 beschrieben wird: ein Opfer, bei dem alle opferbaren Teile des Tieres auf dem Altar verbrannt werden.
( II ) Die Mehrzahl der vier wesentlichen Elemente dieses Begriffs - vollständig / Brandopfer / Tier - ist über die Jahrhunderte hinweg erhalten geblieben,
( III ) hat jedoch eine bezeichnende Umwertung erfahren. Neben dem rituellen Begriff Brandopfer treten seit dem 15. Jahrhundert allgemeinere Bedeutungen wie Opfer, Aufopferung, die zunächst noch im religiösen Bereich angesiedelt sind, dann aber säkularisiert werden.
( IV )
Das Begriffselement "Tier" des Wortes holocaustum geht bald verloren und wird durch "Mensch" ersetzt; das Element "vollständig" (griechisch holos) erscheint abgewandelt als groß, zahlreich: Es geht nunmehr um den Feuertod, dann allgemein um die vollständige Vernichtung zahlreicher Menschen.
( V ) Auf diese Weise ist aus einem durchaus positiven, rituellen Begriff ein negativer, säkularer geworden. Das Wort holocaust gewinnt seine Komplexität aus den mitgegebenen Konnotationen Opfer/Feuer vollständig: Holocaust ist eine bedrückend genaue Bezeichnung für die von den Nazis betriebene Vernichtung europäischer Juden."
Welchen Wert hat diese Argumentation ?
( I ) Bedeutungsschwer:
Es wird bestätigt, daß der "Holocaust" ein Brandopfer meint, ein religiöses Ritual (Altar). Die griechische Vokabel "holocauston" ist allerdings im entsprechenden Wörterbuch nicht zu finden. Das griech. Gegenstück des lat. Substantivs "holocaustum" lautet vielmehr "ólokaútoma", die dazu gehörige Tätigkeitsform "ólokauteín / ólokautéo" im Sinne "ein Brandopfer darbringen".(6)
Abgesehen von dem genannten Vokabelproblem wird auch hier bestätigt, daß der "Holocaust" einen religiösen Ritus meint.
( II ) Wesenselemente:
Von den angekündigten vier Elementen des Holocaust-Begriffs sind nur drei im Zitat erkennbar (Tier, Brandopfer, vollständig). Der Fachmann will "Holocaust" als Tierbrandopfer erklären, um in einem späteren Schritt zum Menschenopfer zu kommen. Doch der zweiteilige griechische Begriff enthält den behaupteten Bestandteil "Tier" nicht. Begriffsbestandteile sind "ólos" (vollständig, gesamt) aber nicht "holos" wie der Fachmann behauptet (vergl. sein Zitat IV), sowie ferner "kauoís" (Feuerbrand). Woher der Fachmann die Tiere als Begriffsbestandteil nimmt, bleibt sein zweites Geheimnis, seinen Lesern verrät er es nicht.
Bestandteile von Begriffen können nur worthafte Bruchstücke mit eigenem Sinn sein. Die Kombination von "Feuer" und "vollständig" formt begrifflich aber keinen weiteren Sinn als nur "vollständiges Verbrennen".
Selbst wenn "Tier-Brandopfer" der ausschließliche griech. Wortsinn von "ólokaútoma" gewesen wäre (was nicht bewiesen wird), bleibt es beim Holocaust als Gottesdienst.
( III ) Umwertung:
Der Inhalt des Begriffs (Tier-Brandopfer) sei im Mittelalter abstrahiert worden. Das ist bekannt, da das im Mittelalter dominierende Christentum die jüdischen Brandopfer nicht übernahm, sondern transzendierte. Bei der Übersetzung der Bibel aus dem Griechischen wurde aus "ólokaútoma" das lat. "holocaustum". Dies war ein Kunstwort, was auch daran deutlich wird, daß die Begriffselemente "holo" und "caustum" im Latein nicht existieren.(7) Die Abstrahierung bestand darin, daß ein Opfer an Gott (Gottesdienst) nun nicht mehr ein Brandopfer sein mußte. Die christlich-theologische Lesart führte zwar symbolhaft den Menschen als Opfer ein (Vorbild des Kreuzesopfers Christi), nahm aber den Begriffsinhalt "Verbrennen" weg. Dies spricht also gegen die behauptete Kontinuität aller Begriffsinhalte (vergl. II)
Der Fachmann gibt selbst zu, daß auch das ma. Begriffsverständnis immer noch im Sinnfeld des Gottesdienstes bleibt. Erst der nächste Schritt ( IV ) soll die entscheidende Wende bringen.
( IV ) Menschenvernichtung:
Die erstaunliche Entdeckung des Fachmannes lautet, daß die vollständige Vernichtung zahlreicher Menschen seit dem 15. Jh. (vergl. III) unter dem Begriff des Holocaust zu finden sei. Das wäre in der Tat der entscheidende Punkt der ganzen Diskussion. Doch für diese Behauptung wird keinerlei Beleg genannt. Falsch ist grundsätzlich die Unterstellung, daß in früher Zeit immer etwas Lebendiges Göttern geopfert wurde. Es sind auch Speise- und Trankopfer belegt, zum Beispiel auch im Text der Bibel: 1.Philipp. 2.17 und 2.Thessal. 4.6.
Die Unterstellung ausschließlicher Lebendopfer ist falsch und die Behauptung einer ma. Wandlung vom Tierbrandopfer zum "Menschenbrandopfer" nennt keinerlei Beleg und ist damit wertlos.
( V ) Konnotationshilfe:
Die Argumentation ist in Ihrer Konfusion eine Zumutung an die Intelligenz des Publikums, das hier für dumm verkauft wird. Die wirren Bezüge auf Inhalte der Bibel halten einer Nachprüfung nicht stand. Selbst Begriffserläuterungen arbeiten mit fehlerhaften Vokabelangaben (siehe I). Die Argumentation baut ein Wandlungssystem auf, dessen entscheidender Punkt in IV liegen würde und dies ist ein Griff in den Sand. Mit seinen abschließenden "Gewinnungen aus Komplexitäten und Konnotationen" greift der Fachmann hilfsweise zurück auf die einzig verbliebene Rettung seiner unsinnigen Argumentation: auf die Produktion von kryptischem Wortschaum, mit dem man vielleicht wenigstens die Unwissenden beeindrucken kann.
Fazit
NS-Judenverfolgung und jüdische Religionsgeschichte passen in der Analogie des heutigen "Holocaust"-Begriffs nicht zusammen. Eine begriffliche Übertragung zwischen zwei verschiedenen Gegenständen ist nur möglich bis zu dem Punkt, wo offensichtliche Diskrepanzen oder sogar inhaltliche Widersprüche sichtbar werden. Diese wurden hier von den Titelgebern des US-Films nicht erkannt. Da unstrittig ist, daß in der jüdischen Kultur nach Ende des Zweiten Weltkriegs dieser abartige Mißgriff produziert wurde, muß offenbar selbst eine Absurdität aufgrund dieser Herkunft dem Publikum als unangreifbar verkauft werden. Die äußerst zweifelhaften Resultate entsprechender Fachbeiträge sind kein Ergebnis gründlicher Prüfung des Zusammenhangs sondern standen offenbar schon fest, ehe die Prüfung überhaupt begann.
Die entsprechend bemühten Geister zeigen mehr Mut als Kompetenz bei ihrer Jagd nach dem Beifall des Zeitgeistes und streifen mit ihren teilweise hilflosen bis sachlich irrigen Argumentationsklimmzügen die Grenze zur Peinlichkeit.
Belege
( 1 ) Aus dem Alten TestamentTextstand nach der Elberfelder Einheitsübersetzung, AT 3. Buch Mosis, Kapitel 1.
( 2 ) Späte Einführung
- Lexikon-Eintrag "Holocaust" in: Henschen/Jaron e.a.: Aktuell - Das Lexikon der Gegenwart. Braunschweig 3/1984, S.301.
- Vierteilige Fernsehserie "Holocaust", USA 1978. Regie: Marvin J. Chomsky, Buch: Gerald Green, von Titus Productions Inc., US.Die Ausstrahlung der Serie im deutschen Fernsehen vom 22. bis 26. Januar 1978 in einer vom WDR produzierten Übersetzung in den Dritten Programmen aller ARD-Anstalten jeweils ab 21,00 Uhr.
( 3 ) Frühe Kritik
Die Amerika-Korrespondentin der Stuttgarter Zeitung in ders. vom 21.04.1978.
( 4 ) Kritik an der Kritik
Darlegung durch Kampen, Wilhelm van: Holocaust. Materialien zu einer amerikanischen Fernsehserie über die Judenverfolgung im "Dritten Reich". Sonderdruck der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1978, S.7. Der promov. Autor ist/war Akademischer Oberrat an der Uni Osnabrück für Neuere Geschichte und Didaktik der Geschichte.
( 5 ) Judaica
Encyclopeadia Judaica Bd. 8. Jerusalem 1971, Sp. 828 ff.
( 6 ) Griechischer Wortsinn
Für Wortbestimmungen etwa Menge, Hermann: Taschenwörterbuch Griechisch/Deutsch. Berlin 29/1962, z.B. Teil 1, Seite 249, 311 und Teil 2, S.88.
( 7 ) Römische Zustände
Pons Globalwörterbuch Latein. Stuttgart 1988, S.451 (holo), S.140 (caustum).
Hammer, gute Arbeit...
AntwortenLöschenDas selbe ist ja auch mehr oder weniger mit dem "Ghetto" passiert...
Die Bezeichnung Ghetto stammt vom venezianischen Gettore ab und bezeichnete volkstümlich jenen Stadtteil Cannaregio, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich eine Gießerei befand (Dialektbegriff ghèto von getto = Guss). Mit einem Dekret vom 29. März 1516 beschloss die Regierung der Republik Venedig, die jüdische Gemeinde dort in einem einzigen Stadtviertel zusammenzufassen.
Angeblich war der Name des jüdischen Gießer, GHETTO...
Gruß
Humboldt