«Beherrsche die Energie, und du beherrschst die Nationen. Beherrsche die Nahrung, und du beherrschst die Menschen.»
(Dem ehemaligen US-Aussenminister Henry Kissinger zugeschrieben)
“Mit der Ölwaffe zur Weltmacht
Der Weg zur Neuen Weltordnung”
von F. William Engdahl
Das Buch erzählt die aufregende Geschichte des Erdöls, das in der Hand kalt kalkulierender Strategen zur Waffe um die Weltherrschaft wurde. Schon im Ersten Weltkrieg ging es England in erster Linie um die Erdölfelder. Öl floß in den Adern der Sonderbeziehungen zwischen den USA und Großbritannien seit 1919. Sie faßten das große Öl und das große Geld zu einem die Weltgeschichte bestimmenden Machtfaktor zusammen. Das Buch zeigt, wie die beiden Ölkrisen Anfang 1973 in Saltsjöbaden in Schweden verabredet wurden, wie daraus die gegenwärtige Finanzkrise erwuchs und die neue Form des “Kolonialismus durch Leasing” entstanden ist. Der Autor entwirft ein einleuchtendes, überzeugendes Bild von der Geschichte unseres 20. Jahrhunderts, ohne in “rechte” oder “linke” Klischees zu verfallen.
Inhaltsverzeichnis und Auszug 3. Kapitel: Mit der Bahn von Berlin nach Bagdad
1. Kapitel: Eine neue Strategie für das Britische Empire
* Drei Säulen tragen das Reich
* Freihandel, ein Machtinstrument
* Britische Weltherrschaft
* Die große Depression von 1873
2. Kapitel: Auf Konfrontationskurs
* Ein deutsches Wirtschaftswunder vor 1914
* Die Berliner Bankenpanik
* Die Bedeutung der Flotte
3. Kapitel: Die Welt im Krieg ums Öl
* Admiral Fishers Weitblick
* Das Geheimnis der brennenden Felsen
* Mit der Bahn von Berlin nach Bagdad
* Die neuen Kriegsschiffe
* Sir Greys folgenschwere Reise nach Paris
* Faschoda: Große Projekte und größere Fehler
4. Kapitel: Schlachtfeld Naher Osten
* Ein bankrottes England bläst zum Krieg
* Die Rolle des Öls im großen Krieg
* Englands Krieg im Osten
* „Dasselbe Pferd zweimal verkauft“
* Ein seltsamer Brief an Lord Rothschild
* Balfour und das „neue Empire“
5. Kapitel: Engländer und Amerikaner im Streit ums Öl
* Das Geld für Englands Krieg
* New Yorks Banken fordern die Londoner City heraus
* San Remo, eine Ohrfeige für die Amerikaner
* Churchill und das „Arabien-Büro“
* Die Schlacht um Mexiko
* Das Geheimnis britischer Ölpolitik
6. Kapitel: Britisch-amerikanischer Schulterschluß
* Der Rapallo-Vertrag
* Sinclair macht ein Angebot
* Ein zaghafter Versuch Deutschlands
* Ruhrbesetzung und galoppierende Inflation
* Ein Weltölkartell
* Das Projekt Hitler
7. Kapitel: Öl und die neue Weltordnung von Bretton Woods
* Als sich der Staub gelegt hatte
* Dollarstandard: „Big Oil“ und „Big Money“
* Marshall-Plan und Öl
* Mohammed Mossadegh scheitert am Ölkartell
* Italiens mutiger Mann
* Entwicklungsfreundliche Konditionen
8. Kapitel: Adenauer, de Gaulle und die Pfundkrise 1967
* Kontinentaleuropa nach dem Krieg
* Anglo-amerikanischer Widerstand gegen die europäische Einigung
* Die Wirtschaftskrise 1957, ein Wendepunkt
* Ein Chevrolet, Baujahr 1958
* Die Dollarkriege der sechziger Jahre
* Der Vietnamkrieg
* Amerika fault
* Das Pfund Sterling bringt es an den Tag
* De Gaulle wird aus dem Weg geräumt
9. Kapitel: Weltwirtschaft im Rückwärtsgang
* Nixon öffnet ein Ventil
* Ein ungewöhnliches Treffen in Saltsjöbaden
* Jom-Kippur-Krieg und Ölkrise
* Der Ölschock greift
* Die „Atomrose” wird entblättert
* Das „Projekt Öko-Bewegung“
* Bevölkerungskontrolle zur nationalen Sicherheit
10. Kapitel: Stöhnen unter dem Ölschock
* Die „Petrodollarordnung“ ruiniert die Entwicklungsländer
* Eine bemerkenswerte Pressekonferenz in Bonn
* In Colombo erbebte die Erde
* „Atomkraft für den Frieden“ als casus belli
* Kein Lächeln für die Welt
* Teures Ticket für Khomeini
* Ein „Unfall“ in Three Mile Island
11. Kapitel: Die neue Weltordnung als Götterdämmerung
* Paul Volcker leiht sich das britische Modell
* Kanonenboot-Diplomatie und eine mexikanische Initiative
* Neuauflage der zwanziger Jahre im Kostüm des IWF
* Reagans „Aufschwung” rächt sich bitter
* Mit etwas Unterstützung unserer Freunde
* Hilfe, die Mauer ist weg!
* Saddam Hussein und die neue Weltordnung
* Europa und Japan im Fadenkreuz
Anhang
* Zeittafel
* Gründungsmitglieder der Trilateralen Kommission (1973)
* Die wichtigsten Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz in Saltsjöbaden, 11.-13. Mai 1973
3. Kapitel: Die Welt im Krieg ums Öl
Mit der Bahn von Berlin nach Bagdad
1888 erhielt eine Gruppe von Industriellen und Bankiers unter Leitung der Deutschen Bank von der türkischen Regierung die Konzession zum Bau einer Eisenbahnstrecke von der Hauptstadt Konstantinopel durch Anatolien. Zehn Jahre später wurde der Vertrag erweitert. Die türkische Regierung gab den Bau einer weiteren Strecke, von Konya nach Bagdad, frei. Das großangelegte Projekt wurde als die „Bagdadbahn“ bekannt. Das zweite Übereinkommen war ein Erfolg des Staatsbesuches von Kaiser Wilhelm II. beim Sultan in Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) im Jahre 1897. In diesen zehn Jahren hatten die deutsch- türkischen Beziehungen sehr an Bedeutung zugenommen.
Bei der Suche nach noch offenen Exportmärkten war Deutschland auf die Türkei gestoßen. Anfang der neunziger Jahre entschloß man sich, enge wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei zu knüpfen. Die Eisenbahnstrecke Berlin-Bagdad war der Nerv einer brillanten und praktikablen Wirtschaftsstrategie, für die der Industrielle Georg von Siemens sich und andere begeistert hatte. Die Frage des Erdöls bildete dabei sicherlich einen wichtigen Hintergrund. In London läuteten die Alarmglocken. Hier liegt der Ursprung der Verstrickungen und Feindseligkeiten, die zu zwei Weltkriegen führten und heute noch auf tragische Weise im Nahen Osten ausgefochten werden.
Karl Helfferich führte damals auf seiten der Deutschen Bank die Verhandlungen über das Bagdadbahnprojekt. Er urteilte später völlig zu Recht, in den Jahren vor 1914 habe es mit Ausnahme der Marinefrage keinen anderen Punkt gegeben, der zu größeren Spannungen zwischen London und Berlin geführt habe, als dieses Eisenbahnprojekt. 1
Das Konsortium unter Leitung der Deutschen Bank erhielt zunächst nur die Konzession für Bau und Betrieb einer Eisenbahnlinie vom außerhalb Konstantinopels gelegenen Haidar-Pascha nach Ankara. Das Unternehmen erhielt den Namen Anatolische Eisenbahngesellschaft und hatte auch österreichische und italienische und zu einem geringen Anteil sogar britische Anteilseigner. Der Bau selbst ging gut voran, so daß der Abschnitt schneller als geplant fertiggestellt werden konnte. So wurde die Strecke weiter nach Süden bis nach Konya fortgeführt.
1896 wurde diese Teilstrecke eröffnet. Man konnte nun von Berlin bis nach Konya, weit in das Innere des anatolischen Hochlands fahren. Der Bau dieser Bahnstrecke war eine große planerische und technische Leistung. Die Strecke führte über 1000 km lang durch wirtschaftlich völlig unterentwickeltes, unwegsames Gebiet und wurde doch in weniger als acht Jahren fertiggestellt. Dadurch gelangte das märchenhaft reiche Gebiet zwischen Euphrat und Tigris in das Einzugsgebiet des technischen Fortschritts. Bis dahin hatten nur die Engländer und Franzosen Eisenbahnstrecken außerhalb der Hauptindustrieländer gebaut. Dabei handelte es sich immer nur um sehr kurze Strecken, die wichtige Hafenstädte miteinander verbanden. Nie waren solche Verkehrswege so angelegt worden, daß sie zur Industrialisierung der betreffenden Länder beitragen konnten.
Diese Eisenbahnlinie schuf zum ersten Mal eine moderne, wirtschaftliche Verbindung zwischen Konstantinopel und dem asiatischen Hinterland des Osmanischen Reichs. Über Bagdad und Kuwait hinaus geführt, hätte diese Linie der billigste und schnellste Verkehrsweg zwischen Europa und Indien werden können.
Aber genau dies war der Punkt, der England daran mißfiel. „Würde ,Berlin- Bagdad’ fertiggestellt, wäre ein riesiges Gebiet, in dem jeder erdenkliche wirtschaftliche Reichtum hergestellt werden könnte, das aber für eine Seemacht unangreifbar wäre, unter deutsche Kontrolle geraten“, warnte R.G.D. Laffan, der damals als britischer Militärberater in Serbien diente. „Rußland würde durch diese Barriere von England und Frankreich, seinen Freunden im Westen, abgeschnitten“, sagte er weiter. „Die deutsche und türkische Armee könnte leicht auf Schußweite an unsere Interessen in Ägypten herankommen. Vom Persischen Golf aus würde unser indisches Empire bedroht. Der Hafen von Alexandropoulos und die Kontrolle über die Dardanellen würde Deutschland im Mittelmeerraum bald eine enorme militärische Seemacht verleihen.“
Die Ausführungen Laffans deuteten bereits an, wie die britische Sabotage gegen die Eisenbahnverbindung Berlin-Bagdad eingeleitet werden sollte. „Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, aus welchen Gliedern sich die Kette der Staaten zusammensetzt, die zwischen Berlin und Bagdad liegen: das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei. Nur ein kleiner Gebietsstreifen verhindert, daß die beiden Enden der Kette miteinander verbunden werden können. Dieser kleine Streifen ist Serbien. Serbien steht klein, aber trotzig zwischen Deutschland und den großen Häfen von Konstantinopel und Saloniki und versperrt ihm das Tor zum Osten... Serbien war in der Tat die erste Verteidigungslinie für unsere Besitzungen im Osten. Würde es vernichtet oder in das ,Berlin- Bagdad’-System einbezogen, hätte unser großes, aber nur schwach verteidigtes Empire bald den Schock des deutschen Vorstoßes nach Osten gespürt“ 2 (Hervorh. W.E.).
Es ist nicht übertrieben (und nur noch nicht salonfähig), wenn man sagt, daß die blutigen Balkankriege, der türkische Krieg, der bulgarische Krieg und die fortwährenden Unruhen in der Region unter der Regie Englands geführt wurden. Diese Feststellung gewinnt heute erneut an Aktualität. Damals richteten sich die britischen Anstrengungen in erster Linie gegen eine Allianz zwischen Berlin und Konstantinopel und ganz besonders gegen die Bagdadbahn. Laffan ließ es nicht an Deutlichkeit fehlen.
Dabei kann man den Bau der Eisenbahnlinie Berlin-Bagdad nicht einmal einen „deutschen Coup“ gegen England nennen. Deutschland versuchte immer wieder, die Briten zur Mitarbeit an diesem Projekt zu bewegen. Vor allem, als in den neunziger Jahren das Übereinkommen mit der türkischen Regierung zustandegekommen war, die 2500 km lange Reststrecke bis zum heutigen Kuwait zu bauen, unternahmen die Deutsche Bank und die Regierung in Berlin unzählige Versuche, England an der Finanzierung und an dem Bau des Riesenprojekts zu beteiligen.
Im November 1899 fuhr Kaiser Wilhelm II. selbst nach England zu seiner Großmutter, der britischen Königin Viktoria (1837-1901), um sie persönlich noch einmal eindringlich aufzufordern, England an dem Bagdadbahnprojekt zu beteiligen. In Deutschland wußte man sehr genau, daß Großbritannien im Persischen Golf und in Suez Interessen vertrat, um seine Schiffahrtswege nach Indien zu sichern. Es war klar, daß das Projekt ohne die Unterstützung Englands in politische und finanzielle Schwierigkeiten geraten würde. Denn der Finanzbedarf des Bauvorhabens überstieg die Ressourcen der deutschen Banken bei weitem.
England wandte in den folgenden 15 Jahren jeden erdenklichen Trick an, um den Bau der Eisenbahnlinie zu verzögern oder zu behindern. London gab bis zum Schluß die Hoffnung nicht auf, durch irgendwelche Abkommen die Fertigstellung der Bagdadbahn verhindern zu können. Dieses zunächst wirtschaftlich und diplomatisch ausgetragene Spiel ging im August 1914 als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ in den Ersten Weltkrieg über.
Königin Viktorias Strategen hatten im Poker um die Bagdadbahn noch einen Trumpf im Ärmel, den sie ausspielen wollten, falls die Verhandlungen nicht wie gewünscht verliefen. Die Karte war ein korrupter Scheich, dessen Familie noch heute in Kuwait ihr Unwesen treibt. 1901 hatte England Kriegsschiffe vor die kuwaitische Küste, die zum Osmanischen Reich gehörte, entsandt. Sie sollten die türkische Regierung zwingen, den Hafen im Persischen Golf, nahe der strategisch wichtigen Mündung von Euphrat und Tigris, westlich des antiken Schatt el Arab, als „britisches Protektorat“ anzuerkennen und damit an Großbritannien abzutreten. In dem Gebiet hauste der Anaza-Stamm, der dem Scheich Mubarak Al- Sabah gehorchte. Die Türkei war zu diesem Zeitpunkt politisch und wirtschaftlich nicht stark genug, um mehr zu tun als dagegen zu protestieren, daß Großbritannien diesen entlegenen Teil des Osmanischen Reiches annektierte.
Scheich Mubarak Al-Sabah galt als skrupelloser Opportunist. Er hatte Berichten zufolge 1896 die Macht dadurch an sich gerissen, daß er seine beiden Halbbrüder zu sich in den Palast einlud und nachts im Schlaf ermorden ließ. 1907 überredete ihn die britische Regierung, das Gebiet des Bander Shwaik „der edlen, königlichen Regierung von England... auf alle Zeiten“ vertraglich zu übereignen. Das Dokument wurde von Major C.G. Knox, politischer Agent der königlichen Regierung von England in Kuwait, gegengezeichnet. Reichliche Handsalben, große Mengen Gold für die Privatschatulle des Scheichs und Gewehre für seine „Krieger“ hatten dem Scheich bei der Unterschrift die Hand geführt.
Im Oktober 1913 hatte Lt.-Colonel Sir Percy Cox sich von dem für Geschenke jederzeit ansprechbaren Scheich einen Brief aushändigen lassen, in dem der Scheich bestätigte, Ölförderkonzessionen in seinem Land „nur an Personen zu erteilen, die von der britischen Regierung dazu ermächtigt, ernannt und empfohlen worden sind.“ 3
Seit 1902 wußte man, daß es in der als Mesopotamien bekannten Region des Osmanischen Reiches, dem heutigen Irak und Kuwait, Erdölvorkommen gab. Wie groß und wie leicht zugänglich diese Ölfelder waren, darüber wurde noch spekuliert. Ihre Entdeckung bestimmte das ständige Ringen um die wirtschaftliche und militärische Kontrolle dieser Region, das noch heute anhält.
In den Verhandlungen über die Finanzierung der Bagdadbahn hatte die Deutsche Bank 1912 vom türkischen Sultan eine Konzession erhalten, die der Bagdad- Eisenbahngesellschaft als „Wegerecht“ die Konzessionen auf alle Öl- und Mineralvorkommen entlang eines 20 km breiten Streifens zu beiden Seiten der bis Mosul im heutigen Irak reichenden Eisenbahnlinie sicherte.
Inzwischen war auch der deutschen Industrie und Regierung klar geworden, daß Öl der Treibstoff der Zukunft war, und zwar nicht nur für den Landverkehr, sondern auch für die Seeschiffahrt und die Kriegsmarine. Deutschland verfügte über keine unabhängige Ölversorgung. Es war völlig auf den amerikanischen Trust der Rockefeller Standard Oil Company angewiesen. Die zu Standard Oil gehörige Deutsche Petroleum-Verkaufsgesellschaft tätigte 91 Prozent aller Ölverkäufe in Deutschland. Die Deutsche Bank hielt nur neun Prozent der Aktien der Deutschen Petroleum-Verkaufsgesellschaft. Das war noch nicht einmal eine Sperrminorität.
Geologen hatten indessen zwischen Mosul und Bagdad Öl entdeckt. Der geplante Verlauf des letzten Teilstücks der Bagdadbahn sollte mitten durch ein Gebiet führen, in dem riesige Ölvorkommen vermutet wurden. Es gab in den Jahren 1912 und 1913 zahlreiche Bemühungen im Reichstag, eine staatliche Gesellschaft zur Erschließung und Nutzung dieser Ölquellen zu gründen. Sie wurden vor allem durch die SPD-Opposition hinausgezögert und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschleppt. Der Plan der Deutschen Bank sah vor, das mesopotamische Öl per Bahn nach Deutschland zu schaffen, um so eine mögliche britische Seeblockade zu umgehen und Deutschland eine unabhängige Erdölversorgung auf dem Landweg zu sichern.
Die neuen Kriegsschiffe
Im britischen Establishment war man sich einig, daß sich die britische Weltmacht nur dann behaupten ließe, wenn England den Zugang zu den damals bekannten Erdölvorkommen unter seine Kontrolle bringen könnte. Sie waren entschlossen, die erste mit Öl gefeuerte Kriegsflotte der Welt zu bauen und Deutschland den Zugang zu den Ölvorräten in Mesopotamien zu versperren. Diese britischen Ziele brachten Deutschland in eine schwierige Situation.
Die Zeit war jedenfalls reif für die Pläne Admiral Fishers, eine moderne, ölgetriebene Kriegsflotte aufzubauen. In Deutschland war 1909 das erste Schiff einer verbesserten Ausführung der englischen „Dreadnought“-Serie vom Stapel gelaufen. Die „Von der Tann“ hatte 80000 PS und erreichte, obwohl noch mit Kohle als Brennstoff betrieben, die für damalige Zeit erstaunliche Geschwindigkeit von 28 Knoten. Nur zwei britische Schiffe konnten mit dieser Geschwindigkeit mithalten. Die mit Kohle befeuerte britische Flotte war an ihre technologische Grenze gestoßen. Das deutsche Wirtschaftswunder begann die Uberlegenheit der britischen Marine in Frage zu stellen.
1911 hatte der junge Winston Churchill Lord Fisher als Marineminister abgelöst. Churchill setzte sich mit Nachdruck für Fishers Pläne ein und griff auch auf dessen Argumente zurück, daß Schiffe gleicher Größe und gleichen Gewichts bei Ölbefeuerung viel schneller fahren können, wendiger sind, über einen weiteren Aktionskreis verfügen und wesentlich schneller und einfacher Brennstoff nachbunkern können.
Im Jahr 1912 lieferten die Vereinigten Staaten 63 Prozent des Weltverbrauchs an Öl, die Russen aus ihren Quellen in Baku 19 Prozent und die Mexikaner gerade 5 Prozent. Die britische Anglo-Persische Ölgesellschaft trug noch nicht nennenswert zur Ölversorgung bei. Aber schon betrachtete die britische Regierung den Persischen Golf als ihre wesentliche Interessensphäre. Dem stand, wie wir gesehen haben, das Projekt der Eisenbahnlinie Berlin-Bagdad entschieden im Weg.
Auf Drängen Churchills setzte die Regierung unter Premierminister Asquith im Juli 1912 eine königliche Kommission ein, die sich mit der Frage des Öls und der Ölverbrennungsmaschinen befassen sollte. Den Vorsitz führte der inzwischen pensionierte Lord Fisher.
Wiederum auf Drängen Churchills kaufte die britische Regierung 1913 unter strikter Geheimhaltung die Aktienmehrheit der Anglo-Persischen Ölgesellschaft ( heute British Petroleum, BP). Von diesem Zeitpunkt an stand das Öl im Mittelpunkt der britischen strategischen Interessen. Und die ließen sich auf folgenden einfachen Nenner bringen: Gelänge es England, seine Erdölversorgung zu sichern und darüber hinaus seinen wirtschaftlichen Konkurrenten den Zugang zu den Erdölreserven zu verwehren, dann würde es die nächsten Jahrzehnte die Weltgeschichte dominieren. Konnte Englands stagnierende Industrie schon nicht mit der deutschen Industrie und den neu entwickelten Daimlermotoren mithalten, dann würde es eben den Brennstoßhahn für diese Motoren auf- und zudrehen und seinen Preis bestimmen. 4
Erst vor dem Hintergrund dieser „Öl-Politik“ der britischen Elite läßt sich der weitere Verlauf der Weltgeschichte verstehen, macht er überhaupt erst Sinn.
Sir Greys folgenschwere Reise nach Paris
Aber mußten solche strategischen Absichten auch bedeuten, daß die britische Elite einen Krieg mit allen seinen verheerenden Auswirkungen in Kauf nahm? Es kam ein weiterer Beweggrund hinzu: England sah sein Dogma des „Machtgleichgewichts“ gefährdet. Der ausschlaggebende Grund dafür, warum Großbritannien im August 1914 den Krieg erklärte, liegt tief „in den alten Traditionen der britischen Politik, durch die England groß geworden war und durch die es seine Größe zu erhalten suchte“, erklärte der deutsche Bankier Karl Helfferich 1918 zutreffend.
„Englands Politik war stets gegen die politisch und wirtschaftlich stärkste Kontinentalmacht gerichtet“, führte Helfferich weiter aus. „Seitdem Deutschland die politisch und wirtschaftlich stärkste Kontinentalmacht geworden war, seitdem England sich durch Deutschland mehr als durch ein anderes Land in seiner weltwirtschaftlichen Stellung und in seiner Seegeltung bedroht fühlte, war der englisch-deutsche Gegensatz unüberbrückbar und durch keine Verständigung über irgendwelche Einzelfragen aus der Welt zu schaffen.“ Helfferich zitierte mit Bedauern die Erklärung des alten Bismarck von 1897: „Die einzige Möglichkeit, die deutsch-englischen Beziehungen zu verbessern, wäre, unsere wirtschaftliche Entwicklung zurückzuschrauben. Und dies ist nicht möglich.“ 5
Im April 1914 statteten König Georg V. von England (1910-36) und sein Außenminister Edward Grey dem französischen Präsidenten Poincare in Paris einen außergewöhnlichen Besuch ab. Es war eines der wenigen Male, daß Sir Edward Grey die britischen Inseln verließ. Der russische Botschafter in Frankreich, Iswolski, wurde zu einigen Treffen des Besuchs hinzugezogen. Ziel der Besprechungen war es, eine geheime militärische Allianz zwischen den drei Mächten England, Frankreich und Rußland zu besiegeln. Sie richtete sich gegen Deutschland und Österreich. Berlin und Wien wurden bewußt nicht gewarnt, daß England sich verpflichtet hatte, in den Krieg einzutreten, sobald einer ihrer Bündnispartner darin verwickelt würde. Vielmehr ließ die britische Regierung die deutsche Führung bis zuletzt im Glauben an eine mögliche britische Neutralität.
Schon vor 1914 war dem britischen Establishment klar geworden, daß es Europa nur mit Hilfe eines Krieges „unter Kontrolle“ halten könnte. Getreu seiner alten Logik, die Kräfte auf dem europäischen Kontinent gegeneinander auszuspielen, balance of power hatte sich die britische Außenpolitik schon Ende des 19. Jahrhunderts neu orientiert. Unter Frankreichs Außenminister Gabriel Hanotaux ( 1894-95, 1896-98) und Rußlands Finanzminister Sergej Witte (1892-95) hatte sich eine Allianz mit der aufstrebenden deutschen Industriemacht abgezeichnet. Das alarmierte die britische Diplomatie. London nützte die traditionelle protürkische und antirussische Bündnispolitik des 19. Jahrhunderts nichts mehr. Nun suchte es die Allianz mit Rußland gegen Deutschland. Vor allem mußte eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Rußland vereitelt werden.
1 Helfferich, Karl: Der Weltkrieg. Vorgeschichte des Weltkrieges. Berlin, 1919,
bei Ullstein, S. 120-165.
2 Laffan, R.G.D.: The Serbs: The Guardian of the Gate, 1917, Nachdruck New York, 1989, bei Dorset Press, S. 163-164.
3 Abu-Hakima, Ahmad Mustafa: The Modern History of Kuweit. London 1983, bei Luzak, S. 188-197
4 Hanighen, Frank C.: The Secret War. New York, 1934, bei The John Day.
5 Helfferich, siehe oben, S. 165-166.
Textauszug ausgeliehen von www.jahrbuch2002.studien-von-zeitfragen.net
Hintergründe zur Ölkrise
[...] Das geheime Treffen der Bilderberggruppe war [1973] nicht etwa zu dem Zweck nach Saltsjöbaden einberufen worden, um eine derartige Verteuerung der Weltenergieversorgung zu verhindern. Im Gegenteil, es bereitete den Ölpreisschock vor und erarbeitete Pläne, wie die erwartete Öldollar-“Flut“ am zweckmäßigsten gehandhabt werden sollte. Henry Kissinger sprach in diesem Zusammenhang vom „Petrodollar-Recycling“.
Ein globales Ölembargo sollte die Ölversorgung weltweit drastisch verknappen. Das würde die Weltölpreise dramatisch steigen lassen. Da die amerikanischen Ölgesellschaften den Welthandel seit 1945 fest im Griff hatten, war es üblich geworden, die internationalen Ölrechnungen in Dollar zu fakturieren. Mit dem Ölpreis musste also auch die Nachfrage nach US-Dollar ansteigen. Die steigende Nachfrage nach Dollar würde den Druck vom Dollar nehmen und seinen Wert stützen. Sie würde natürlich auch die Position derer stärken, die Dollar drucken und liefern konnten.
Den ölproduzierenden Ländern Arabiens schob man den Schwarzen Peter und die Schuld an der ausgelösten Misere zu. Die Volkswut sollte sich gegen die bösen „Ölscheichs“ richten. [...] Die eigentlichen Drahtzieher blieben verborgen und gebärdeten sich nach außen auch noch als die hintergangenen Geschädigten. (Fußnote: Golan, Matti: The secret Conversations of Henry Kissinger: Step by Step Diplomacy in the Middle East. Bantam Books, New York 1976.)
BP, Shell und andere angloamerikanische Ölkonzerne hatten Hunderte von Millionen Dollar in die Entwicklung der Nordseeölfelder investiert, die ohne Kissingers Ölschock wohl kaum jemals Gewinn abgeworfen hätten. Ob das wohl reinen Zufall war?
[Der US-Finanzminister] Benett hatte mit der Agentur SAMA, welche die saudiarabischen Öleinnahmen verwaltete, ein geheimes Abkommen getroffen. Die Natur dieses Abkommens enthüllt ein Memorandum Benetts an Staatssekretär Henry Kissinger vom Februar 1975. Danach sah das Abkommen vor, dass die riesigen zusätzlichen Gewinne, die den Saudis als Folge des höheren Ölpreises in den Schoß fielen, zu einem beträchtlichen Teil die Defizite der US-Regierung decken sollten. Um das zu gewährleisten, erhielt ein junger Bankier der Firma White, Weld Co., einer Investment-Bank mit Sitz in London und an der Wallstreet, David Mulford, den Posten des Investment-Beraters bei der SAMA in Riad. Mulford sollte dafür sorgen, dass die Petrodollars ordnungsgemäß bei den richtigen Banken in London und an der Wallstreet eingezahlt wurden. [Fußnote: Das Memorandum ist abgedruckt in: International Currency Review, Vol. 20, London, 6. Januar 1991, S. 45.].
Am 1. Januar 1974 traf sich die OPEC in Teheran erneut. Sie vereinbarte, den Ölpreis auf 11,65 Dollar pro Fass anzuheben. Das erstaunliche daran war, dass der Schah des Iran diese Forderung auf dem Treffen vortrug. Nur wenige Monate vorher hatte sich der Schah noch gewehrt, den Ölpreis auf 3,01 Dollar das Fass anzuheben. Er hatte befürchtet, die Ölverteuerung könnte die westeuropäischen Exporteure veranlassen, die Preise ihrer Industriegüter anzuheben. Diese Güter wurden aber zur Industrialisierung Persiens und anderer Entwicklungsländer dringend benötigt. [...] Aber die provokativ einseitige Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten für Israel hatte den Zorn der arabischen OPEC-Vertreter angeheizt. Dem konnte sich der Schah wohl nicht entziehen.
[...] Die Masse de OPEC-Dollareinkommens, die Kissinger „recycled Petrodollars“ nannte, floss auf die New Yorker und Londoner Großbanken, die mit Eurodollar handelten und den Ölhandel finanzierten.
Mit kurzfristigen, sehr teuren Krediten mussten sie [die Entwicklungsländer] ihre Zahlungsschwierigkeiten überbrücken. Die einzigen Geldgeber, bei denen sie leihen konnten, waren die anglo-amerikanischen „Eurodollar-Banken“. Sie brachten auf diese Weise ihre riesigen Petrodollar-Bestände gewinnbringend in Umlauf.
Die Strategie des „Petrodollar-Recycling“ der Bilderberg Gruppe war genau abgesteckt. Beteiligte amerikanische und europäische Banken gaben Entwicklungsländern ausschließlich zu dem Zweck Kredit, dass diese damit ihre „Zahlungsbilanz“ ausglichen. [...] So kommt es, dass die meisten „Kredite“ dieser multinationalen Großbanken gar nicht erst in die entsprechenden Nehmerländer transferiert werden mussten. Es verschoben sich lediglich die Zahlen auf den Konten der Öllieferanten und Ölkonzerne gegenüber den Konten Öllieferanten und Ölkonzerne gegenüber den Konten der Entwicklungsländer. [...]
Zu den Aufgaben David Mulfords als Direktor der SAMA gehörte es, darüber zu wachen, dass die Saudis einen „weisen“ Gebrauch von ihrem ungeheuer gewachsenen Geldreichtum machten. Sie wurde durch die Tatsache erleichtert, dass damals nur die New Yorker Citibank als rein ausländische Bank in Saudi Arabien tätig sein durfte. Citibank ist die Hausbank großer amerikanischer Ölkonzerne, besonders von Esso und ARAMCO. Es überrascht also nicht, dass allein 1974 70 Prozent der Einnahmen der OPEC-Staaten in ausländischen Wertpapieren angelegt sind. Von dieser stattlichen Summe von 57 Milliarden Dollar entfielen gut 60 Prozent auf amerikanische und britische Finanzinstitutionen (Quelle: Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Basel 1976).
Am 8. Juni 1974 unterzeichnete Henry Kissinger in seiner Funktion als US-Außenminister einen Vertrag über die Einrichtung einer amerikanisch-saudischen Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Joint Commission on Economic Cooperation), wovon wenig öffentlich Notiz genommen wurde. Dieser Vertrag regelte die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den USA und Saudiarabien besonders „auf dem Gebiet der Finanzen.“
Über Wesen und Inhalt ihrer neu vereinbarten besonderen Zusammenarbeit bewahrten die Amerikaner und Saudis striktes Stillschweigen.
Es gab eine Merkwürdigkeit [...]: Die OPEC-Staaten versteiften sich trotz ihrer angeblichen Feindschaft zu den USA – ein Ölembargo ist nun wirklich kein freundschaftlicher Akt – darauf, in Zukunft ausschließlich US-Dollars als Zahlungsmittel anzunehmen. Sie wollten keine anderen Währungen akzeptieren, und wäre sie noch so „hart“ [...].
Die unglaublich Inszenierung wird noch durchsichtiger, wenn man bedenkt, dass 1975 eigens zu dem Zweck ein OPEC-Treffen einberufen wurde, die OPEC-Länder darauf festzulegen, dass sie nur noch Dollar als Zahlungsmittel zu akzeptieren hätten. Nicht einmal britische Pfund durften angenommen werden. Noch erstaunlicher [...] ist die Tatsache, dass diese Regelung von der OPEC auch dann noch aufrecht erhalten wurde, als in den folgenden Jahren die Kursschwankungen des US-Dollar der OPEC gewaltige Verluste einbrachten. Natürlich stabilisierte die Regelung den stark überbewerteten US-Dollar. Die ganze Welt war gezwungen, in riesigen Mengen US-Dollar zu ankaufen, um damit die Energieversorgung sicher zu stellen.
Die OPEC-Regelungen bevorzugten einen eng begrenzten Kreis von Banken [...].
Auf diese Weise war es den USA also gelungen, den Dollar statt auf Gold nun auf die Ölnachfrage zu gründen. Hätten Washington oder London den Ölschock wirklich – wie sie immer behaupten - als tödliche Bedrohung erlebt, hätten sie genug Druckmittel in der Hand gehabt, um einen vernünftigen Ölpreis zu erzwingen. Die Anglo-Amerikaner brauchten aber den hohen Ölpreis und zwangen die „Scheichs“, dafür öffentlich die Prügel zu beziehen.
Die gleichen Leute, die den Ölpreis um 400 Prozent angehoben hatten, boten den bedrängten Opfern ihre Petrodollar als Finanzierungshilfe an. Dass sie dafür überzogen hohe Zinsen forderten, versteht sich aus der [...] Lage.
Quelle: William Engdahl: Mit der Ölwaffe zur Weltmacht. Der Weg zur neuen Weltordnung. Wiesbaden 1992. S. 205 ff.
Stimmen zum Buch
“... veranschaulicht die erbärmlichen Rekorde an Irrtum und Verbrechen, bei denen die Wenigen die Hebel ihrer Macht fast bis zum Zerbrechen überzogen. Ich empfehle das Buch allen, die wissen wollen, wie wirklich Weltgeschichte gemacht wird und welche ‘Systeme’ hinter den politischen Kulissen täglich am Werke sind... Vor allem empfehle ich es Lesern in der Dritten Welt als einen glaubwürdigen Bericht, warum meine Generation der politisch Verantwortlichen nicht erreicht hat, was man vernünftigerweise hätte erwarten können.”
Dr. Frederick Wills, ehemaliger Außenminister von Guyana
"Dieses Buch ist nichts für Furchtsame oder Unaufmerksame. Es geht an die Fundamente... Es ist eine ausgezeichnete Arbeit, in der Problembereiche unserer Gesellschaft genauer bestimmt werden ..."
Oberst Fletcher Prouty, USAF (ret.), Verfasser von "The Secret Team"; der wirkliche ‘Mr. X' des Films ‘JFK’ von Oliver Stone .
“Dieses Buch (Mit der Ölwaffe zur Weltmacht von F. William Engdahl) ist der einzige genaue Bericht über die Geschehnisse um den Ölpreis 1973, den ich kenne. Ich kann die Lektüre nachdrücklich empfehlen.”
Scheich Zaki Yamani, früherer Ölminister von Saudi-Arabien.
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